„Alle Farben könnten schön sein“

Gemälde & Skulpturen von Wu Shaoxiang
(* Jiangxi 1957)

„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.“ Soweit die Theorie, das Ideal der 1948 in Paris verabschiedeten UNO-Menschenrechtscharta. Vieles hat sich im Lauf der Jahrzehnte zum Positiven gewandelt. Die Utopie von der Gleichheit der Geschlechter, der Hautfarben, wider jegliche Diskriminierung, inklusive Recht auf Leben und Freiheit wurde in weiten Teilen des Planeten Realität. Vielfach hat sich eine xenophobe, nationalistische, separatistisch determinierte Gesellschaft durch eine engagierte Zivilbevölkerung zu einem toleranten, multikulturellen Miteinander voll Empathie entwickelt. Aber plötzlich, am Beginn des jungen 21. Jahrhunderts begann das mühsam errungene Prinzip der Aufklärung, der demokratische Impetus des Dreigestirns „Liberté, Egalité, Fraternité“ Risse zu bekommen. „Was ist da passiert?“, fragen sich viele. „Was war da passiert?“, fragte sich auch Wu Shaoxiang. Was ist passiert mit Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, mit Toleranz und Respekt, mit einem friedlichen Neben und/oder Miteinander, mit Gerechtigkeit, mit freier Meinungsäußerung trotz unterschiedlicher Positionen?

Zeit seines Lebens beschäftigt sich Wu Shaoxiang intensiv mit dem Thema Identität. Diversität lautet der sperrige Terminus. „Vielfalt trifft es besser“, sagt Wu Shaoxiang. Dieser kulturpolitische Topos wurde ihm derart wichtig, dass es ihn zu einer gänzlich neuen künstlerischen Phase, zu einer komplett neuen Interpretation auf dem Pfad der Kreativität verleitete. 2019 erfuhr Wu Shaoxiang durch „Art China" die Auszeichnung „artist of the year" für die in Kooperation mit Jiang Shuo gestaltete Ausstellung im „798 Linda Art Center of Beijing“, nachdem er bereits 2009 als „Skulpteur des Jahres“ geehrt wurde. Dennoch begab sich Wu Shaoxiang aus seiner Komfortzone als arrivierter Bildhauer heraus, konfrontierte sich selbst mit der Herausforderung etwas gänzlich Neuen. Über vierzig Jahre hatte er nicht mehr gemalt. Stets war ihm die Skulptur Mittel der Wahl. Seine meist großformatigen Skulpturen, seine Figuren, Figurinen, vornehmlich aus Metall, sind weltweit bekannt. Kapitalismus in jeglicher Form interpretierte, kritisierte und karikierte er in ironisierender Art und Weise – eingedenk der klassischen Tradition asiatischer Kunstgeschichte wie auch westlicher Abstraktion; Avantgarde à la Duchamps oder Giacometti zitierend.

Der Pionier der modernen chinesischen Skulptur, einer der einflussreichsten Bildhauer der „New Wave Bewegung“, studierte am Jingdezhen Ceramic Institute Bildhauerei, bei Professor Zhen Ke an der China Central Academy of Arts and Design in Peking. 1987 promovierte er und lehrte an selbiger Akademie, bis er 1989 als Verfechter der Demokratiebewegung seine Heimat verließ. Seit der zunehmenden Öffnung der Volksrepublik China kehrt er gemeinsam mit seiner Frau, der Bildhauerin Jiang Shuo, und seinem Sohn, regelmäßig wieder nach Peking zurück, betreibt dort – alternierend zu seinen Refugien in Kärnten und in Berlin – ein Atelier und unterrichtet am Institute of Visual Arts der Shanghai Fu Dan University. Nun kehrt Wu Shaoxiang, nach vier Jahrzehnten Abstinenz, zur Staffelei, zur Leinwand zurück. „Alle Farben könnten schön sein“, lautet sein klar prononciertes Credo – und so lautet auch der Titel seiner aktuellen, im Schütz Art Museum erstmals öffentlich präsentierten Serie. Im Duktus des „ready made“ schuf Wu Shaoxiang eine Serie großformatiger Ölgemälde. Oberflächlich betrachtet könnte man die Bilder als gegenständlich, realistisch bezeichnen. Es ist aber keineswegs ein neuer Realismus, den Wu hier beschreitet, vielmehr geht es stilistisch – analog zum Inhalt – um Transformation, um Identität, um wechselseitiges Befruchten, voneinander lernen, Antizipieren. Erschreckend ist, so Wu Shaoxiang, eigentlich das Faktum, dass man im frühen 21. Jahrhundert, nach all den Zäsuren und Schrecken der Vergangenheit, immer noch über Anerkennung, über Minderheiten, über Freiheit und Gleichberechtigung reden muss. Erbärmlich. Im Geiste der antiken Göttin Aphrodite bleibt schlussendlich die Hoffnung auf die allgemein erkannte, und anerkannte Erkenntnis: „Alle Farben sind schön!“

„Raus aus dem Elfenbeinturm, hin zu den Menschen!“ lautet das Motto des Schütz Art Museum. „Wir wollen Kunst erlebbar machen, begreifbar, spürbar – sinnlich, stimulierend, inspirierend.“ Mit der aktuellen Präsentation von Wu Shaoxiang begegnen wir aktiv dem Puls der Zeit: Individualität, Inspiration, Toleranz, Respekt, Fremdheit, Diversität – und last but not least:
Freiheit

09.22 bis 02.23 im SCHÜTZ ART MUSEUM

SCHÜTZ ART MUSEUM Engelhartszell proudly presents: „Alle Farben könnten schön sein“ Gemälde & Skulpturen von Wu Shaoxiang von September 2022 bis Februar 2023.

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