„Jeden Tag, wenn ich aufwache, möchte ich sterben“, lautete vor knapp zwei Jahren in einem Interview ein Bekenntnis von Enrique Fuentes. Ob dieser Satz nur Spiel, nur augenzwinkernde Koketterie mit häufig ins Feld gebrachten, aber allzu augenscheinlichen Klischees – wegen der scheinbar verwandten Totenkulte in seinem Vaterland Mexiko und seiner Wahlheimat, der „Nekropole“ Wien – ist oder real ist, bleibt dem Auge des Betrachters verborgen. Am ehesten liegt die Wahrheit wohl inmitten einer diffusen Grauzone, im Zwischenreich des Unterbewusstseins, im Zwielicht eines obskuren Okkultismus, denn immerhin drang der Satz angesichts einer Ausstellung mit einem leicht schizophrenen Titel ans Tageslicht, deren Wortspenden unterschiedlicher nicht sein könnten.
„Viva la vida – la Catrina negra“. Der Titel nimmt Bezug auf die „Día de los Muertos“, die wichtigsten Feiertage Mexikos. Diese „Tage der Toten“ sind aber keineswegs Tage des Trauerns, sondern ein farbenprächtiges Volksfest zu Ehren der Toten, die auf Besuch kommen. Die „schwarze Catrina“ als personifizierte „tote Reiche“ aber verspottet die dekadente, saturierte, nur nach Gott Mammon schielende Oberschicht. Im Endeffekt, am Tag des Jüngsten Gerichts, sind alle Menschen gleich.
Enrique Fuentes ist aber keineswegs nur düster in seinem Werk. Im Gegenteil: es ist bunt, explosiv, agil, lebendig, temperamentvoll. Fuentes, Jahrgang 1980, sieht in der Kunst eine universelle Sprache, die ihm die Möglichkeit bietet, ästhetisch gegen Engstirnigkeit und Ungerechtigkeit zu polemisieren. Geboren in Mexico City studierte der heute in Wien und Berlin lebende Künstler Malerei in der Meisterklasse von Jean-Michel Alberola an der Pariser École Nationale Supérieure des Beaux-Arts (2001-2009), verbrachte ein Jahr in Tokio, Japan, absolvierte 2006 bei Guillaume Bijl die Salzburger Summer Academy of Fine Arts und war von 2005 bis 2011 persönlicher Assistent von Arnulf Rainer. Seine intensive Beschäftigung mit Dichtkunst, Literatur und Musik spiegelt sich auch klar in seinem Œuvre, das schon in Galerien und Museen, auf Kunstmessen auf der ganzen Welt zu sehen war, wider. Zitate an Schuberts „Winterreise“ oder Ingeborg Bachmann finden sich ebenso wie an Baudelaires „Blumen des Bösen“.
Enrique Fuentes‘ Werk ist expressiv, intensiv, ausdrucksstark, emotional; beeinflusst vom Brauchtum seiner Heimat, inspiriert vom abstrakten Expressionismus der USA, aber auch stark im Austausch mit Arnulf Rainer und vor allem mit dem ehemaligen enfant terrible des Wiener Aktionismus, Günther Brus, mit dem er auch einige Ausstellungen mit gemeinsamen Serien bespielte. Der künstlerische Dialog mit dem fast vier Jahrzehnte älteren „väterlichen Freund“ gipfelt in expressiven Exzessen des Hedonismus und der Lebensfreude, ohne je Tod, Verfall und Krankheit zu vergessen. Sein Werk ist eine gelungene Melange aus südamerikanischem Temperament, österreichischer Gleichmut, katholischabendländischer Tradition in Synkretismus mit aztekischen Geisterwelten. „Lebe das Leben!“, scheint uns der an einen Schamanen Gemahnenden mit seinem Werk zuzurufen – wider Agonie – eingedenk der Archaik von Anfang und Ende, Alfa und Omega.